August Mayer wuchs im Haus Gegenpaur neben der Rotgerbe als Sohn der letzten Gerber auf. Er wurde Jurist und führte ein abenteuerliches Leben. Wieder zurück in Ermatingen, wählte man ihn als Gemeindeammann und Notar.
Sein Hobby und seine Leidenschaft war die Geschichte von Ermatingen:
Lesen Sie diese aufschlussreiche und interessante Geschichte, auch wenn Sie sich vielleicht etwas an den "altmodischen" Stil gewöhnen müssen.
Mir gefällt insbesondere, dass Mayer auch den Alltag der Dorfbewohner und der Gemeinschaft beleuchtet; das findet sich kaum in anderen Geschichtsbeiträgen über Ermatingen.
Ich stelle Ihnen den Text (etwas gekürzt) vor und ergänze ihn mit den geschichtlichen Tafeln, die sich auf das Thema beziehen.
Eine Zusammenstellung dessen, was von den Schicksalen des Fleckens Ermatingen bekannt ist, kann keinen Anspruch an die Vollständigkeit machen; sie wird um so mehr dieses Gebrechen an sich tragen, weil die einzelnen Notizen mühsam von allen Seiten her zusammengelesen werden müssen. Die Dokumente in der Gemeindelade enthalten bis ins fünfzehnte Jahrhundert äusserst wenig, das sich verwerten lässt, und der Volksüberlieferung kann so gut wie gar nichts abgewonnen werden.
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So weiß man auch zum voraus, dass eigentlich der Ort keine besondere Geschichte haben kann; dass da von bedeutenden Männern und von erfolgreichen Begebenheiten nicht viel zu melden
ist, und dass diese Zusammenstellung kein anderes Resultat bieten wird als unzusammenhängende Beobachtungen.
Die einzelnen Menschen möchten immer gerne alt werden, die Ortschaften aber immer gerne alt sein. Die Eigenschaft des Altseins darf Ermatingen mit allem Recht für sich in Anspruch nehmen.
Weit über die bekannte Geschichte hinaus reichen die Spuren der im Bügen und im oberen Staad vorhandenen Pfahlbauten; die Menge der Fundstücke, und mit ihr zugleich der Zustand der aufgefundenen Steinwerkzeuge weisen ihrerseits noch höher hinauf; sie zeugen, dass wir es selbst da nicht einmal mehr mit rohen Anfängen der Kultur, sondern mit einer bereits darin schon fortgeschrittenen grösseren Ansiedlung vor der Bronzeperiode zu tun haben.
Der Eisenbahnbau hat 1875 zahlreiche Grabstätten aus der Allemannenzeit aufgedeckt. Einzelne Fundstücke deuten darauf hin, dass dieselben etwa der Zeit von 350 bis 400 nach
Christo angehören, in welcher der Orkan der germanischen Völkerwanderung in vollem Zuge war.
Dabei lässt auch eine gewisse Regelmässigkeit in der Anlage dieser Grabstätten darauf schliessen, dass nicht bloss ein kriegerisches Ereignis, sondern auch hier wieder eine feste Ansiedlung darin Urkund finden dürfte.
Zum ersten Male wird der Ort Ermatingen urkundlich erwähnt in einem Schenkungsbriefe des Klosters Reichenau, welcher das Datum 25. April 724 trägt.
Karl Martell bewilligt mit demselben die Gründung des Klosters und vergabt den Mönchen zu ihrem Unterhalt: „fünff Fleken uswendig der insulen gelegen in unserer Fronung des Bodensews. Dieselben Flecken sind also genannt: Marchelfingen, Alaspach, Kaltenbruu, Wolmutingen, Almantiscurt und an der ander sitten des Rins Ermotingas unser dorff mit allen iren Anhangungen und witti und vier und zweinzig Menschen, die im Thurgöw wonen, sind: Rapert, Godwin, Landolt, Nappo, Petto, Cuono, Vinfrid, Justus, Palcher, Widalt, Lamprecht, Arfrid, Wolfart, Theotrich, Theopert, Atfrid, Radewin, Alidolfus, Aremmanolt, Palfridus, Etirich, Alemanfrid, Landwin, Walthar, und all ir nachfolgend Geschlecht und one die och alle die fry in derselben Gegni.
Nicht minder als die Angabe über Zeit und Art des Erwerbs von Ermatingen seitens des Klosters trägt im weitern aber auch die Angabe, dass es diese Schenkung, ja seine Gründung selbst, der Verwendung eines auf Sandegg residierenden fränkischen Landvogts, Sintlas, verdankt habe, mehr das Gewand der spätern Sage als der Zuverlässigkeit; denn es würde nicht sehr für die Dankbarkeit der Mönche sprechen, dass der Name Sintlas in dem Nekrologium des Klosters, das doch spätestens schon aus der Mitte des neunten Jahrhunderts stammt, in der Reihe der Wohlthäter desselben, deren Gedächtnis durch Messen und Gebete in Ehren zu halten verordnet wird, gar nicht vorkommt; auch geschieht überhaupt in den Urkunden aus jener Zeit eines Sintlas als fränkischen Landvogts in der Gegend nirgends Erwähnung, und erst in viel späterer Zeit, im dreizehnten Jahrhundert, kommt Sandegg zum ersten Male urkundlich vor, und zwar als im Besitz der wegen ihrer Freigebigkeit für religiöse Stiftungen vielgenannten Edeln von Steckborn, und wird dabei weder seiner baulichen Anlage noch seiner Bedeutung nach besonders hervorgehoben.
Die Grenze des Ortsbannes wird zuerst in der Offnung erwähnt als „von dem gräbli ze Mannebach zu der lantstrass und zue dem agelsturbach;" sie ist heutzutage noch ganz dieselbe und mag es wohl schon zu Zeiten des Übergangs gewesen sein, da sich durch das ganze Mittelalter an solchen weniger als auf allen übrigen Gebieten Veränderungen auf friedlichem Wege machen liessen.
Je beschränkter Erwerb- und Lebensverhältnisse waren, um so mehr gab sich das Bedürfnis dar, die alten Bräuche zu festem, altem Recht zu gestalten, um der Zumuthung vorzubeugen, dass es sich damit nur um künd- und dehnbare Liberalitätsakte ihres Herren handeln könne; sehr frühe geschah daher die schriftliche Aufzeichnung in Form der Offnung.
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Die Dorfgenossen ernennen ihre Beamten, nach der ältern Offnung Keller und Weibel, nach der spätern Bürgermeister, Rath und sonstige Angestellte, selbst, der Abt einzig den Ammann
als seinen Stellvertreter und die Richter, darf dieselben aber nur aus der Zahl der Gotteshaushörigen nehmen.
Ein Zug von Humanität, wie er sehr oft in solchen Dorfrechten vorkommt, findet Ausdruck in den Bestimmungen über den Bezug der herrschaftlichen Gefälle: Fasnachthühner und Hauptfall.
Wäre, sagt diesfalls die Öffnung, dass einer eine Frau hätt, die im Kindbett läg, so soll eines Herren Bot dem Huhn das Haupt abbrechen und das dem Herren bringen, das Huhn aber hinder sich in das Haus werfen und soll die Frau das Huhn essen.
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Neben der strammen Ausmarkung gegenseitiger Rechte und Pflichten von Herr und Dorf wird die Wegleitung über das, was für die täglichen Vorfälle, und was in Flur und Feld von jedermann zu beachten sei, ohne weitgehendes Reglementieren abgethan. Wer sich dagegen vergass, dem schärfte in der späteren Redaktion eine Reihe von Strafbestimmungen das Gedächtnis an Recht und Brauch, ohne dass dabei Besonderes und Eigenartiges herauszuheben wäre.
Nach dem, was Flur und Feld beschlägt, wird das Kapitel der Raufhändel am ausgiebigsten behandelt und einzelne Bestimmungen machen den Eindruck, als hätten zu denselben gerade spezielle Erlebnisse vorgelegen, so z. B. wenn ein fremder Knecht beim Hacken oder wenn er heimfährt, Streit anfing. Oder: wenn zwei streiten und es ist kein Vorgesetzter zur Hand, um Frieden zu bieten, so mag jeder, der dem Herrn von Ow geschworen hat, bei zehn Pfund Pfenning Fried bieten; bleibt das erfolglos, so mag er bei hundert Pfund und an Leib und Gut und an Eid bieten, und soll das Gebot also kräftig sein, als ob das der Herr selbst gethan hätte.
Wer die Kirche in Ermatingen gestiftet hat, weiß man nicht. An Mitwirkung der Dorfbewohner darf dabei kaum gedacht werden; solchen Kundgebungen religiösen Sinnes begegnet man zur Zeit überhaupt nur in den Schichten der Herren, und den Hörigen und Zinsleuten dabei nur als Schenkungsobjekte, nicht aber als Schenker selbst; auch deutet die Widmung an den sonst nicht oft in der Ostschweiz als Kirchenpatron vorkommenden fränkischen Bischof Albin von Tours, gestorben 549, unverkennbar darauf hin, dass die Kirchenstiftung ein Herrenwerk war.
Schon vor der Verlegung des Bischofssitzes von Windisch nach Konstanz hatte sich die Aufmerksamkeit glaubenseifriger Männer auf die Zustände der Seegegend gelenkt und sie zum
Felde ihrer Tätigkeit gemacht. Es galt dabei weniger, dort zu missionieren, als das Vorhandene zu konservieren; denn wohl waren oder wurden die Bewohner in der ersten Zeit der fränkischen
Herrschast Christen; aber mit der dünnen Decke von christlichem Zeremoniell war nur zu spärlich die Erinnerung an den von den Vätern her ererbten heidnischen Glauben entlarvt.
Die Kirche scheint seit den ältesten Zeiten einen eigenen Pfarrer gehabt zu haben.
Die Klosterchronik von Gallus Oheim aber nennt schon um die Mitte des achten Jahrhunderts einen „Pfaffen" Hildemar zu Ermatingen, den sie beschuldigt, dem Kloster ein schönes Messbuch und etliche andere Bücher ausgeführt zu haben.
Obgleich das Sprüchwort sagt, unter dem Krummstab sei gut wohnen, so bekam Ermatingen früh genug Anlass zu erfahren, dass Sprüchwörter bisweilen auch ihre bedenklichen Kehrseiten haben, und dass, wenn Äbte und Bischöfe sich über des Apostels Ausspruch: „Trachtet nicht nach dem, das auf Erden ist!" (Colosser 3, 2) den Text auslegten, die Unterthanen mindestens so schlimm daran waren als die unter sich fehdenden weltlichen Herren.
Im Jahr 1249 verbrannte Ermatingen in dem Kriege zwischen Bischof Eberhard II. von Konstanz mit Abt Berchtold von St. Gallen, als ersterer „beginnt ungewöhnlich Ding an Abt Berchtolden und sin Gottshaus zu wüten."
„Bei den Herren," sagt der Appenzeller Chronist Walser, „war damals lauter Feuer, Eifer, Hass und Zorn, bei den Unterthanen nichts als Seufzer, Jammer, Klag und Weinen."
Stille, gleichmäßige Tage folgten den wilden Stürmen; lange Zeit findet sich von Ermatingen nichts anderes als Käufe, Täusche, Vergabungen zum Heil der Seele und Namen solcher verzeichnet, welche dabei Zeugen waren; wer sich aber die Mühe nimmt, näher auf diese Urkunden einzugehen, wird nicht ohne Verwunderung ersehen, wie sehr, während er sich das Ermatingen von damals mehr als ein bloßes Fischerdorf vorgestellt, schon um die Zeiten des Übergangs fleißige Hände auch den
fruchtbaren Boden, namentlich in den ebenern Lagen, gepflegt haben. Dass Weinbau schon vor dem achten Jahrhundert in Ermatingen betrieben wurde, während auf der Reichenau man erst um das Jahr 818 damit begonnen, beweist der Umstand, dass Ermatingen nach seinem Anfall an das Kloster unter anderm die Verpflichtung zugewiesen wurde, demselben den Abendmahlwein zu liefern.
Schon sehr frühe kommen in diesen Urkunden Abtretungen von Weinbergen vor. So z. B. überlässt 1181 Abt Diethelm der Kirche in Oberzell als Ersatz für einen von ihm veräusserten Hof in Bräunlingen, welcher Eigenthum derselben gewesen war, einen Weingarten bei Ermatingen.
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Dieser Weingarten bildet noch gegenwärtig, nach nun bald 700 Jahren, einen Theil des evangelischen Pfarrpfrundgutes.
..., dabei lässt auch nicht minder der Umstand, dass schon um 1260 urkundlich drei Mühlen in Ermatingen erwähnt werden, auf starken Getreidebau schliessen.
War an sich die Hörigkeit auf den königlichen Tafelgütern im Vergleich mit andern derart, dass die Leute daselbst fast den Freien gleichkamen, so scheint das Kloster in der Folge diesen Zustand als gegebene Thatsache hingenommen und sich ungewohnter Forderungen so ziemlich enthalten zu haben; deshalb lebten denn auch bis auf die Zeiten der konfessionellen Zerwürfnisse im allgemeinen Herr und Unterthan meist so ziemlich in gutem Einvernehmen,
Nach der älteren Offnung hält der Abt sein Gericht um Mitte März, nach der späteren im Mai.
Hieraus geht hervor, dass Gemeindeversammlungen selbst noch im fünfzehnten Jahrhundert nicht in einem Hause, sondern noch immer unter freiem Himmel abgehalten wurden; der als Versammlungsort für alle Vorfälle von allgemeinem Interesse genannte Platz „bey der Brugg" war der Platz zwischen dem Adler und dem jetzigen Rathaus, er kommt unter diesem Namen etwa noch gelegentlich in Urkunden Anfangs des sechszehnten Jahrhunderts vor.
Erst 1591 baute man ein Rathaus, zugleich eine nach der Sitte der Zeit für gesellschaftliche Zusammenkünfte der Bürger bestimmte Trinkstube auf dem Platze, wo das gegenwärtige
steht, und erkaufte ihn hiefür von Jörg Fehr, Stadtschreiber zu Ravensburg, um einen jährlichen Zins von zwei Pfund Pfenning, zahlbar auf Martini an einen Hafen von Landschlacht; damals stand auf demselben noch die Ruine eines beim Überfall im Jahr 1499 grösstenteils abgebrannten Hauses.
1416 kaufte Pfarrer Loffar von dem Gotteshaus zu den Schotten in Konstanz den Weinzehnten von 16 Manngrab der Kirche und dem Pfarrer zugehörender Reben für zehn Pfund guter Pfenninge los.
Zu seiner besondern Erwähnung bietet weniger dieses und die Wahrnehmung Anlass, dass er eine bei den Klosterherren wohlangesehene Persönlichkeit war, als der für einen Thurgauer Landgeistlichen gewiss seltene Zufall, dass er während seiner Pastoration zwei Päpsten in seinem Kirchensprengel persönlich zu begegnen hatte.
Zunächst Johann XXIII. - Veranlassung und Verlauf des Konzils zu Konstanz, 1414 bis 1418, liegen weit ausser dem Bereich einer Ermatinger Dorfgeschichte, und es mag anderswo nachgelesen werden, wie von den drei gleichzeitigen Päpsten, von welchen jeder behauptete, der rechte zu sein, einzig Johann XXIII. zu demselben persönlich erschienen war in der Hoffnung, durch seine scheinbare Unterwürfigkeit die Versammlung für sich zu gewinnen und von ihr als der richtige Papst anerkannt zu werden, ... und dann doch die Flucht ergreifen musste.
Während ein vom Herzog veranstaltetes glänzendes Turnier die Aufmerksamkeit von seines Flucht ablenkte, ritt am Abend des 20. März 1415 Papst Johannes, als Botenreiter verkleidet, in einen grauen Mantel gehüllt und eine Armbrust au der Seite, „dass sein niemand achten kunnt noch erkennen" auf einem dürren Klepper, nur von einem kleinen Knaben begleitet, nach Ermatingen, verlangte im Pfarrhause einen Trunk und fuhr nach kurzer Rast daselbst zu Schiff nach Schaffhausen.
Kaiser und Konzil liessen aber sofort auf den Flüchtigen fahnden, er wurde verhaftet, wieder
nach Konstanz zurückgebracht und in sonderbarer Fügung des Geschickes bis zu seiner Abführung nach Heidelberg im Schloss Gottlieben in Haft gelegt. Er war wenige Wochen vorher noch
einer der gehässigsten Verfolger von Jan Hus und nun mit diesem gleichzeitig (3. bis 5. Juni) am gleichen Ort im Turm des Schlosses Gottlieben Gefangener.
Schwerlich möchte indessen diese Begebenheit allein genügt haben, um mehr als bloss vorübergehend und über die Zeiten der Reformation hinaus Anlass zu einem Volksfest zu bleiben; denn es lag darin für Ermatingen speziell kein Grund, sich mit einer Feier des Lätaretages besonders hervorzuthun. Damit, dass die Kirche sie als Volksfest unter ihre Fittiche nahm, fand vielmehr dort ein Rest uraltgermanischen Volkslebens, den Frühlingsansang mit einem Freudentage zu feiern, eine neue Unterlage und Forterhaltung, ohne das Hergebrachte in andere Formen zu bringen; denn wie schon Jahrhunderte zuvor, blieben auch dabei groteske Maskeraden üblich, an denen sich hauptsächlich die Fischer beteiligten, und wurde unter allerlei Ulk eine ungeheuerlich ausgestattete Strohfigur mit dem Titel „Groppenkönig" herumgetragen und schliesslich in den See geworfen.
Die Reiläuferei erweiterte dagegen die Gelegenheit für die nicht geringe Zahl solcher, welche, durch die steten kleinen Fehden allerorts gewöhnt, das Kriegsleben dem friedlichen Erwerbe auf heimatlichem Boden vorzogen. Das Zum Krieg ziehen wurde förmlich gewerbsmässig:
„Der gemeine Mann ist nit allein zur Arbeit gericht, sondern auch zum Krieg geflissen und fertig, dass sie gemeinlich in allen Kriegen der Helvetier ihr Anzahl für andern aus darbiethen und sind gewohnlich die ersten im Harnisch, ob sie gleich bisweilen die letzten in Besoldung sind."
Wie stark die germanische Gewohnheit des Reislaufens in Ermatingen eingewurzelt war, und wie wenig die zeitweisen Verbote Nachachtung gefunden, zeigt dabei unter anderem 1491 ein Beschluss der Tagsatzung zu Luzern: Jeder Bote soll zum Ratschlag heimbringe, wie man die von Ermatingen strafen wolle, welche sich der wegen Reisläuferei über sie verhängten Busse nicht fügen wollen.
Jahrhunderte hindurch blieb auch später die altdeutsche Lust, in fremde Kriegsdienste zu ziehen, ein hervorragender Zug im Dorfleben.
Die Umschau in den gewerblichen Verhältnissen im fünfzehnten Jahrhundert zeigt noch immer das Handwerk sehr schwach aus der Bildfläche, nur etwas Kleinhandwerk zur Deckung der
Alltagsbedürfnisse, die Landwirtschaft mehr fleissig als sinnig betrieben, mehrtheils ans den eigenen Verbrauch und für den Überschuss auf ein ganz kleines Absatzgebiet angewiesen.
Des neuen Gotteshauses sollte man indessen nicht lange froh bleiben können; auf eine Reihe zum Theil ganz ausserordentlich fruchtbarer Jahre, wie z. B. 1472, wo ein Fuder des sehr guten Weins höchstens drei Pfund Pfenning, oder 1473 gar nur zwei Pfund galt, auch die Bäume schon im
Hornung blühten, um Johanni Ernte, um Ende Juni der Herbst in voller Zeitigung stand und im November die Kirschen zum zweiten Male reif wurden, oder 1484, wo ein so gutes Weinjahr war, dass man, um den neuen Wein versorgen zu können, vielfach ganze Fässer voll den Armen zum Almosen, oder etwa auch ein Fass voll Wein für ein leeres Fass gab; folgte zunächst nach strenger Winterkälte 1491 eine solche Theuerung, dass viele Leute im Thurgau sich mit abgebrühten Nesseln, Disteln und Heublumen den Hunger stillen mussten, das Viertel Hafer 15 bis 19 Kreuzer und ein Fuder Wein 32 bis 38 Gulden galten.
Die gewöhnlichen Folgen theurer Zeiten, seuchenartige Krankheiten, blieben auch hier nicht aus, und der Geldwucher fand ein ausgiebiges Arbeitsfeld.
Nun wartete 1499 der härteste Schlag, den der Ort seit Jahrhunderten, vielleicht jemals, erlitten hat.
Nach den erfolglosen Bestreben des Kaisers Maximilian auf dem Reichstage zu Linda, 1490, die Eidgenossen wieder in den alten Reichsverband zurückzubringen, sollte sie ein gleichzeitiger Angriff von drei Seiten her, vom Sundgau, Vorarlberg und von Konstanz aus zur Nachgiebigkeit zwingen.
Erst im Frühjahr 1499 sammelten sich indessen die Reichsheere.
Mittlerweile waren aber die Eidgenossen namentlich der Sammlung bei Konstanz, meist Hegauer Ritterschaft und Mannschaft der Reichsstädte, aufmerksam gefolgt; in Hohn- und Trotzreden es allen zuvorthuend, liess dieselbe mutmassen, dass von da her der Hauptangriff zu gewärtigen sei; ein verschanztes Lager im Schwaderlob sollte deshalb den Weg von Konstanz nach Zürich verlegen.
Der erste kriegerische Vorstoss von Konstanz aus fand am 10. März statt. Die bei Tägerweilen stehenden Vorwachen der Eidgenossen wurden mit einem Verluste von 30 Mann zurückgeworfen, und ungeachtet der vom Bischof von Konstanz verheissenen Neutralität sein Schloss zu Gottlieben und in der folgenden Nacht auch die Insel Reichenau von den Bündischen besetzt. Die Eidgenossen erwiderten mit der sofortigen Verbrennung des bischöflichen Schlosses zu Kastel.
Anfang Aprils betrug die Gesamtstärke des eidgenössischen Zusatzes in Ermatingen etwa 400 Mann, aber in der Mehrzahl mangelhaft, meist nur mit Spiessen und Handbüchsen bewaffnet.
Am Abend des 10. Aprils bekam Hauptmann Blunschli von unbekannter Hand die Warnung, sich auf einen Überfall gefasst zu machen; er schenkte indessen derselben keinen Glauben; möglich, dass er der Meinung war, es sei wieder nur eine der gewohnten Neckereien, da auch im Schwaderloh kein feindlicher Angriff gewärtigt werde, bevor der längst auf dem
Kriegsschauplatze erwartete Kaiser aus den Niederlanden eintreffe.
Auch die ihm Untergebenen teilten in der Mehrzahl seine Sorglosigkeit, und die Bedenken einzelner, welche Vorsicht empfahlen, brachte die spöttische Abfertigung Blunschis zum Schweigen, dass, wer sich fürchte, seinetwegen den Harnisch ins Bett anlegen möge.
Die Ruhe des gewöhnlichen Dorflebens lag daher über Ermatingen, als am Morgen des 11. Aprils um Tagesanbruch das schwäbische Bundesheer mit 15 schweren Geschützen von Konstanz auszog.
Vorsichtig waren zur Vermeidung von starkem Geräusch die Fallbrücken an den Toren mit Mist überlegt worden.
Während diese, ohne von Vorwachen aufgehalten, bis Ermatingen vorrückten, setzte Graf Niklas von Salm mit einer andern, nächtlicherweise auf der Reichenau zusammengezogenen Abtheilung über den See und liess theils vom Staad aus angreifen, theils gegen die in Mannenbach liegenden
Luzerner vorgehen, um ihre Vereinigung mit den Ermatingern zu verhindern.
Der fast gleichzeitige Angriff vom Oberdorf und vom Staad her überraschte die Besatzung von Ermatingen in vollständigster Sorglosigkeit; meist noch im Bette liegend, wurde Hauptmann Blunschi und mit ihm bei 73 Mann beim ersten Anlauf und fast ohne Gegenwehr erstochen; allenthalben gestaltete es sich zur blossen Metzelei, je nachdem der Zufall Gruppen zusammenführte. Viele liefen ohne Schuhe und ohne Waffen, kaum nothdürftig bekleidet, in planloser Flucht davon; einige sammelten sich in der allgemeinen Verwirrung auf dem Kirchhof und kämpften eine Zeit lang hinter den Mauern desselben und vom Kirchthurm aus, reizten aber damit mehr die Mordlust des überlegenen Gegners, als dass ihr Widerstand noch nützen konnte, und bald genug zeigte sich auch hier, dass das Überleben nur noch von der Möglichkeit abhänge, sich gegen das Hard durchschlagen zu können, dem einzigen Weg, durch Flucht nach dem Wald und den Schluchten des Bergabhanges der zahlreichen feindlichen Reiterei zu entrinnen; es ist darum auch die Gegend um Hard der Platz, wo zuletzt noch am blutigsten gekämpft wurde, da der Feind, dessen gewahr, sofort überall auf die Flüchtigen gehen liess.
Eine Anzahl von ihnen zog sich hiebei in den Thurm beim Hard zurück und wurde, da ihre Verfolger denselben mit Stücken zusammenschössen, unter den Trümmern lebendig begraben.
Damit war jeder ernstliche Widerstand erloschen; einer Verfolgung der Flüchtigen enthielten sich die Sieger.
Die Flammen der drei brennenden Ortschaften leuchteten so fürchterlich, dass man sich am Obersee sagte, der ganze untere Thurgau müsse im Feuer stehen.
Von den Bürgern waren viele in die Kirche geflüchtet in der Hoffnung, dass diese nach Kriegsgebrauch ein Asyl sein werde; aber auch die geheiligte Stätte sicherte nicht vor der alles durchforschenden Raubsucht, und es wurde dort alles, mas sich an Heiligthümern, Gotteszierde, Messgewändern, Kreuzen und andern Kostbarkeiten vorfand, namentlich sieben wertvolle Kelche, dem plündernden Feinde zur Beute.
Übermüthiger Siegestaumel kannte keine Grenze, und Hass gegen alles, was Schweizer hiess, auch dort weder Barmherzigkeit noch Schonung; schwangern Frauen wurden unter unflätigen Reden mit der Drohung, die Kinder gleich im Mutterleibe zu erwürgen, Hellebarden und Degen an den Leib gesetzt.
Jauchzend ritt Burkhart von Randegg in der Kirche umher, erstach einen siebziggjährigen blatternlahmen Greis, der, vor dem Altare liegend, mit aufgehobenen Händen um Erbarmen
flehte, und höhnte die Jammernden mit der Lästerung, heute wolle er einmal im Thurgau brennen, dass Gott selbst im Regenbogen vor Rauch und Hitze blinzen und die Füsse an sich ziehen müsse.
Als die Zerstörungswut endlich abnahm und, was zu plündern war, so ziemlich seinen Mann gefunden hatte, sammelten die Führer am Nachmittag mühsam ihre Scharen wieder; aber der bisherige Erfolg hatte Ordnung und Gehorsam unter ihnen gelöst: da half kein Bitten noch Befehlen; jeder folgte seinem eigenen Willen.
Also waren ihrer viel, die hatten Kisten gefegt; der etlichen führten Korn, Win, Bettgewand und allerlei Hausrath mit sich, trangent ihrer viel Kessi, Häfen und Pfannen an ihrem Gewehr, die alle wieder gen Konstanz ritten.
Die hochgradige Aufregung, in welche man sich allmalig hineingestritten hatte, verlief sich in einen allgemeinen Rückzug nach Konstanz, und der unter so günstigen Erfolgen begonnene Tag endigte mit der Niederlage des schwäbischen Bundesheeres, die unter dem unzutreffenden Namen „Schlacht im Schwaderloh" von der Schulbank her bekannt ist, in Wirklichkeit aber
in den Feldern oberhalb von Triboltingen, in der Schrägenhurtzelg, stattgefunden hat, und mit dem Verluste von minbestens 2000 Mann an Toten, dabei mehr als 130 Konstanzer Bürgern, sämtlichem mitgeführten Geschütz und allem Raub des heutigen Tages, worunter allein zehn Wagen mit Wein und mehrere Wagen mit Getreide beladen.
Was das Verbrennen des Ortes bei dem Überfall anbelangt, so ist aus späteren Urkunden zu schliessen, dass es wohl nur das Oberdorf, mehrtheils die Häuser um die Kirche herum
und gegen das Hard zu, betroffen haben mag, und dass weniger dabei der Stand gelitten zu haben scheint. Von der Kirche soll nur das Langhaus verbrannt, Chor und Thurm dagegen stehen geblieben sein.
Die Toten wurden in der Nähe der Hardmühle begraben, wo mehrfach eine Menge Gebeine angetroffen worden sind.
Was in Haus- und Gemeindewesen ans eigener Kraft zu Stande gebracht wurde, macht die der Kriegsverheerung vom April 1499 unmittelbar folgenden Jahre zu einem der beachtenswerthesten Zeitabschnitte der Ortsgeschichte; es sollte indessen Ermatingen nicht beschieden sein, des neu geordneten Hausstandes mit dem Behagen eines Schiffers zu geniessen, der nach schwerem Sturme glücklich sein Fahrzeug im sicheren Hafen geborgen hat. Theuerung und pestartige Krankheiten ängstigten seit Anfang des Jahrhunderts wiederholt die Gemüther; Wölfe in Grosszahl machten die Gegend unsicher; die wirtschaftlichen Zustände begannen an den Folgen von Überanstrengnng zu kränkeln; wunderbare Gerüchte liefen dabei um, wie in Konstanz die Lehre Luthers gepredigt werde, und wie deshalb das Volk dort haufenweise der St. Stephanskirche zulaufe, nebenbei aber auch nicht minder von dem wilden Treiben bei den reichenauischen Klosterangehörigen überm See und den Hegauer Bauern, wo dieselbe bereits als gleichbedeutend mit der Lossagung von der Leibeigenschaft und den fast erdrückenden Steuerauflagen aufgefasst worden war. Was sie berichteten, fand in Ermatingen empfänglichen Boden, die Lehre Luthers vorab durch den damaligen jungen Pfarrer Alexius Bertschi.
Die Bertschi, vermutlich von Konstanz her stammend, kommen in Ermatingen urkundlich schon um 1387 vor, zeigen sich öfters als Inhaber von Lehensgütern dortiger Patrizierfamilien, namentlich der Muntpratten, Besitzer von Hard und Salenstein, oder als deren Einzieher von Zehent- und Grundzinsgefällen, zeitweise auch als Bürger. In einem Haushaltungs rodel von 1569 noch mit fünf Haushaltungen verzeichnet, scheinen sie später, etwa um die Zeiten des schwarzen Todes (1610 - 12) ausgestorben oder weggezogen zu sein.
Alexius Bertschi, als Pfarrer in Ermatingen Amtsnachfolger seines Verwandten David Bertschi, hatte seine Studien in den Schulen des Stiftes St. Stephan in Konstanz gemacht; sie legten sicherlich den Grund zu der Richtung, zu welcher er sich später bekannte und zu deren Popularisierung er, der frühesten einer im Thurgau, als Pfarrer eingestanden ist. Wenn er hierbei auch mehr mit dem Bestreben, die neuen Grundsätze und Anschauungen volkstümlich und allverständlich auszusprechen, als bei seinen öftern Beteiligungen an Disputationen und Synoden durch theologische Gelehrsamkeit hervortritt, so darf aus diesem Umstände kein ungünstiger Schluss an seine geistige und wissenschaftliche Begabung im allgemeinen gezogen werden, und es mag die Achtung, mit der ihm dabei begegnet wird, ebensowohl für diese zeugen als dafür, dass „man seines Lebens und Wandels halber keinen sonderen Fehler wisse".
Ungeachtet namentlich in letzterer Beziehung mit Gegnern damals nichts weniger als fein umgegangen wurde und er selbst mitunter persönliche Missbeliebigkeiten sogar in Predigten mit scharfer Lauge behandelte, wird ihm weder in der einen noch in der andern Beziehung in den vielen Beschwerden des Abtes gegen ihn je ein Vorwurf gemacht.
Das Beispiel der meist aus Konstanzer Bürgern bestehenden grössern Güterbesitzer, vorab derjenigen von Hard und Salenstein, welche bereits durch die reformatorische Bewegung in ihrer Vaterstadt dafür gewonnen waren, trug wesentlich dazu bei, dass die grosse Kirchgemeinde bald die Anschauungen ihres Pfarrers auch zu den ihrigen machte; vorzugsweise sind es die ersteren, welche fortan mit Wort und That dafür einstanden. Gab auch Bertschi immerhin den Anstoss zur kirchlichen Umgestaltung Ermatingens, so hätte diese doch wohl kaum bleibend und so erhalten werden können, wie sie der in Glaubenssachen vertraglicheren Neuzeit erhalten blieb, wenn nicht jederzeit, wo in Bedrängnissen der Gemeinde beides, der Rat und die materiellen Hilfsmittel, auszugehen drohten, Hard für sie eingestanden wäre. Manches, was es hiebei getan, ist seither für die nun paritätische Kirchgemeinde zum Segen geworden. Während gegnerischerseits damals Hard oft spottweise der Nothhelfer der Ermatinger genannt wurde, erkennen ihm diese jetzt dafür einen Ehrenplatz in der Ortsgeschichte zu.
Machtlos standen der Abt und der Träger seiner Gewalt im Dorfe, Ammann Hans Schoop, den Erfolgen Bertschis gegenüber und richteten hilfesuchend ihren Blick auf den Landvogt und die regierenden Orte. Ungewohnt, ihre Untertanen durch begütigende Worte zu gewinnen, trugen Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug dem Landvogt as, die lutherische Ketzerei im Thurgau auszurotten und vorab die Wortführer derselben gefangen zu nehmen.
Bertschi, gewarnt, dass es hiebei namentlich auch auf ihn abgesehen sei, entging dem Schicksal des Pfarrers Oechsli auf Burg bei Stein, indem er nach Konstanz entfloh, wo ihn schon im April 1525 auf Empfehlung des dortigen Reformators Ambrosius Blarer die Angehörigen der Pfarrei St. Paul einstimmig bis an fünf Personen vom Stadtrat als Pfarrer verlangt und wo er sich noch im Frühjahr gleichen Jahres verehelicht hat.
Seine Verdrängung machte dem Landvogt bei der Gemeinde wenig Freude; offen gab sie ihrer Anhänglichkeit an ihn Ausdruck. Auch dem vom Abte sofort darauf eingesetzten Pfarrer alter Glaubensrichtung gelang eine Umstimmung nicht; statt der Messe in der heimatlichen Pfarrkirche wurden die Predigten in Konstanz besucht, welche sich allmählich zum Sammelpunkte aller derjenigen aus den umliegenden Gemeinden gestalteten, die der neuen Lehre günstig gestimmt waren; selbst zur Taufe, klagt der Landvogt, tragen einzelne ihre Kinder dorthin,
Die fünf katholischen Orte sahen sich damit vor die Frage gestellt, ob sie der Gestaltung der Dinge den Lauf lassen, oder dieselbe mit Gewalt unterdrücken sollten. Das erstere wollten sie nicht, das letztere konnten sie nicht; denn Zürich erklärte ihnen mit aller Geschäftigkeit des Propagandaeifers, es seien diejenigen, welche der evangelischen Lehre begehren, nicht bloss ihre, sondern auch seine Untertanen, und es werde deshalb niemals zugeben, dass sie von ihnen daran verhindert oder mit Gewalt davon abgehalten würden.
Bertschi seinerseits vergass aber auch in Konstanz die Ermatinger nicht und blieb auch dort ihr Seelsorger im eigentlichsten Sinne des Wortes; er bahnte ihnen den Weg zur Fühlung mit Zwingli; die Volksstimmnng erhielt damit bei einzelnen unklaren oder abweichenden Anschauungen, wie z. B. bezüglich des Abendmahls, wo er selbst anfänglich gleich wie die Konstanzcr Reformatoren mehr der Ansicht Luthers zugeneigt war, eine regelnde Wegleitung und Ermatingen in der Folge bald als „eine dem Widerpart besonders ausgesetzte Gemeinde" besondere Gönnerschaft bei Zürich.
... Als jedoch auch Bern zur Reformation übertrat (Februar 1528) und sich mit Zürich ans den Grundsatz vereinbarte, dass fortan in den gemeinen Vogteien in Glaubenssachen nicht die regierenden Orte, sondern die Gemeinden selbst abmehren sollten, ob bei ihnen das Alte oder Neue gelten, und kein Prediger und keine Gemeinde mehr um des Glaubens willen Gewalt leiden solle, waren die Ermatinger die ersten im Thurgau, welche sich das zuhanden machten.
Schon am 10. Oktober erschienen als Abgeordnete des Kirchspiels Hans Ammann und Wolfgang Ribi namens des Dorfes, und Hans Ith für Triboltingen, Fruthwilen und Salenstein, vor dem Rath in Zürich und baten, ihnen einen geschickten Prädikanten zu geben, der ihnen das Wort Gottes klar verkünde, wozu sie eine sonderliche Begier hätten. Den Eidgenossen und ihrem Landvogt wollten sie dabei immer gehorsam sein, wie es arme Leute ihrem Herrn schuldig, und Zinsen und Gefalle getreulich ausrichten wie bisher.
Mit überlegener Staatsklugheit benutzte Zürich die Stimmung der Thurgauer zu seinem Vorteil, und als bald nach Ermatingen das für die Reform besonders rührige Steckborn und auch Arbon mit gleichen Gesuchen folgten und am 6. Dez. 1528 die Abgeordneten sämtlicher Gemeinden des Landes mit einer an Einmuth grenzenden Stimmenmehrheit auf der zu Weinfelden abgehaltenen Landsgemeinde beschlossen, „dass jeglicher Zwang hinsichtlich des Glaubens fortan solle abgeschafft sein; bemeldete Tyrannei wolle man nicht mehr" war in Ermatingen nun vollends kein Halt mehr, „dass man zum Zeug greif"; Altäre und Bilder wurden aus der Kirche entfernt, und was sich verwerten liess, teilweise für Armenzwecke und Gemeindeschulden verwendet.
Hierbei, sowie überhaupt beim ganzen Übertritt zur Reformation gebührt der Gemeinde die Ehrenmeldung, dass dieses ruhig und ohne tumultuarische Auftritte vor sich ging. Der katholische Geistliche, Benedikt Bär verliess den Ort. Einzelne, zumeist den Familien Ammann, Strassburger und Marti angehörig, welche der Neuerung abhold waren, siedelten nach der Reichenau über und kehrten erst später, nach der Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes, wieder in die Heimat zurück.
Auf Anhalten der Gemeinde überliess ihr jetzt der Rath in Konstanz vorläufig, wie es dabei hiess, für eine bis vier Predigten ihren früheren Pfarrer Alexius Bertschi wieder.
In seiner neuen Stellung betätigte Bertschi seine selbstlose und uneigennützige Hingebung für beide, Gemeinde und Glaube.
Aber nicht nur in ihren Beziehungen zum Pfarrer, auch unter den das Kirchspiel bildenden Ortschaften selbst herrschte gleichzeitig in der Pflege des bürgerlichen Lebens über Mein und Dein nicht die gleiche Einigkeit wie in Glaubenssachen; da war Selbstsucht und gehässiges Markten miteinander allweg, und von dem so oft zur Schau getragen Eifer des einen oder andern für das geläuterte Gotteswort ist wenig spürbar, wo immer es sich um die Kosten handelt (also schon damals, das darf ich hier als ehemaliger Kirchenpräsident anmerken...!)
(Nach dem zweiten Kappeler Landfrieden wurde die Messe in Ermatingen für nur fünf katholische Familien wieder eingeführt und Bertschi aus Ermatingen weggewiesen; seither wird die Ermatinger Kirche paritätisch genützt).
Zweierlei Umstande wirkten günstig, die mit der Verdrängung Bertschis drohende Gefahr für die Sache der Reformation in Ermatingen abzuschwächen. Die Gemeinde nannte sie eine Vergewaltigung und schloss sich darum gegenüber derselben mit ganzer Hingebung an seiner Statt eingesetzte Pfarrer Gregor Seemann ein, gebürtig von Tägerwilen, der ebenso sehr durch sein Wort aus der Kanzel als durch die Schlichtheit seines Auftretens, vielleicht gerade darum desto mehr, zeigte, wie sehr Zürich für das, was Not tat, in ihm den richtigen Mann gefunden hatte.
Die Besoldung des Pfarrers:
..., dass auf Verwendung des Besitzers von Hard und Salenstein, Walther von Hallwyl, der Abt sich auch bestimmen liess, die Besoldung des Pfarrers zu verbessern. Es wird ihm als Besoldung zugesichert: jährlich 46 Gulden an Geld, 9 Malter Korn, 1 Malter Hafer, Steiner Mass, auf die 4 Frohnfasten 1 Fuder und 16 Eimer Wein. Für Heu und Stroh mag er die sogenannte Mostwiese samt den zwei Baumgärten benutzen, sowie 16 Manngrab Reben beim Pfarrhaus, das obere und untere Höfli genannt.
... Dieser Entscheid stellte die Frühmesspfründe wieder her, wie sie ehedem gewesen, änderte aber die Gesinnung der Gemeinde nicht; sie hielt mit aller Zähigkeit an der Ansicht fest, dass es sich nur um eine alte Stiftung des Hauses Hard handle, deren Ausübung sie in ihrer Kirche stattzugeben gezwungen sei; dieses müsste sie dulden; sie selbst aber gehe solche nichts an, und sie wolle nicht, dass man sie als ihre Sache ansehe, sei es, wie es wolle.
Noch bei fünfzig Jahre lang war der Priester blosser Frühmesser, und es gab keine eigene katholische Gemeinde. Aber die Kraft zum Widerstand ermattete allmählich, je öfters sie es dabei hinnehmen mussten, dass in Glaubenssachen das Recht des Stärkeren als das bessere Recht gelte, und es kann daher nicht befremden, dass als der Bischof den Frühmesser und späteren Dekan Ulrich Töldling (1620 — 1636) auch zugleich als Pfarrer für die wenigen im Kirchspiel wohnenden Anhänger des katholischen Glaubens bestellte, und diese so wieder zu einer eigenen katholischen Kirchgemeinde machte, die Anfechtung seitens der in Glaubenssachen stets kampflustigen Gemeinde als aussichtslos unterblieb.
Nach einem pfarramtlichen Berichte wohnten um 1631 in Ermatingen 125 reformierte und 5 katholische Haushaltungen.